Bericht von Nina Ellmark

Warum aufhören, wenn es gut läuft?

Ja, wie kam es eigentlich zu dem kurzentschlossenen Start beim ÖTILLÖ SwimRun Cannes ? … reichte es nicht mit den 75km bei der WM oder dem stürmischen Koster-SwimRun an der schwedischen Westküste gut zwei Wochen später, oder noch eine Woche später dem ÖtillÖ 1000-Lakes in good old Germany? Eigentlich schon – aber warum aufhören, wenn es gut läuft, egal, mit wem ich starte? Ich war dem Rat eines alten Swimrun-Hasen gefolgt und probierte die restlichen Rennen der Saison mit unterschiedlichen Rennpartnern, da ich ja nach dem Umzug von Erik „Swimrun-partnerlos“ war, für den Rest des Jahres zumindest. Nach vielem Hin und Her und letztendlich etlichen Anfragen entschloss ich mich, im Mix Team mit André Andre Fält zu starten. Herbert Krabel hatte ihn mir empfohlen. André zögerte nicht eine Sekunde und freute sich auf einen gemeinsamen Start in Cannes. Im Gegensatz zu mir ”No-name-Frau”, die sich weder Triathlet, noch Multisportler, Superschwimmer oder IRONMAN nennen darf, hat André langjährige Erfahrung aus dem Schwimmsport, dem Swimrun und vom Triathlon. Das Einzige, was ich wirklich vorzuweisen hatte, waren meine Resultate der letzten zwei Jahre Swimrun und Trailrun und ein paar andere Läufchen und Halbmarathons. Besser als nichts.

Swimrun Cannes als warmer Abschluss

Die Rennstrecke des ÖtillÖ SwimRun Cannes beinhaltet ansehnliche 9km Schwimmen und 28km Rennen, kein Zuckerschlecken und verhältnismäßig viel Zeit im feuchten Element. Das kam André ganz gelegen, denn man sagt, er schwimme wie ein Delfin. Selbst vorne zu schwimmen traute ich mir vor dem Rennen bei der Entfernung noch nicht ganz zu. Dank der freundlichen Unterstützung von Stefan Sponer durften wir als Team ‚Primalcoaching powered by HEAD‘ in den neuen superschnellen MYBOOST PRO LITE Neoprenanzügen starten. Perfekt!

Der Herbst hatte in den letzten 3 Wochen jedoch schon Einzug genommen und das dunklere nasskalte Wetter machte sich bei meiner Stimmung schon etwas bemerkbar. In den Tagen vor dem Rennen fühlte ich mich ständig müde und hatte auch nicht so richtig Lust aufs Training und ich fragte mich, ob das Ganze eine so gute Idee war. Freitag vor dem Rennen war es soweit: Abreise Richtung Cote d’Azur. Die Wärme schockte mich doch etwas, Jeans wurden gleich viel zu warm und die Sommergarderobe wurde sofort nach Ankunft ausgepackt. In Cannes angekommen treffe ich André und seine Familie zum ersten Mal und wir erkunden abends das Restaurantviertel, meine Französischkenntnisse werden zum ersten Mal auf Probe gestellt. Ja, und es dauert nicht lange bis ich merke, wie gut mir die Wärme tut; nach einer ordentlichen Portion Schlaf von Freitag auf Samstag fühle ich mich wieder ”fit for fight” und komme so langsam in Swimrun-Stimmung.

Testschwimmen

Am Samstag morgen testen wir die neuen HEAD Anzüge direkt am Strand von La Croisette, wo das mir mittlerweile gut vertraute Wettkampfzentrum aufgebaut ist. Ich bin positiv überrascht, wie klar das Wasser ist, sehe Fische und fühle 21 Grad Wassertemperatur,- einfach ideal. Wir testen die Leine und ich stelle schnell fest, dass André wirklich wie ein Delfin schwimmt – und die Schwimmstrecken beim Rennen wie am Schnürchen laufen sollten. Wir laufen noch entlang der Strandmeile zum Einstieg der längsten Schwimmstrecke des Rennens und ich merke, dass mein Körper so langsam wieder ”erwacht” nach ein paar Tagen Erholung. Jetzt freue ich auf das Rennen und denke, dass ich das richtige Team für dieses Swimrun-Abenteuer gewählt habe und wir beide die gleiche Einstellung für das morgige Rennen mitbringen: ”Volle Kraft voraus, aber nicht vergessen Spaß zu haben!”

Racebriefing

Nach einem gemütlichen Stadtbummel gehen wir am Samstagabend zum Race Briefing, das zum ersten Mal zweisprachig gehalten wird. Die Rennleitung überlässt natürlich nichts dem Zufall und Race Director Michael Lemmel glänzt mit seinen Französischkenntnissen. Ich freue mich, dass ich das meiste verstehen kann und ein halbes Jahr in einer französischsprachigen Provinz in Kanada doch seine Spuren hinterlassen hat. Die Bürgermeisterin von Cannes begrüßt alle Rennteilnehmer, die Stimmung ist freundlich, – die Franzosen sind wirklich ein swimrunbegeistertes Volk.

Endlich Sonntagmorgen: Race Day. Ein gechartertes Boot bringt uns zum Start im Innenhof des Maison Forestière auf der gemütlichen Île Sainte-Marguerite. Fast surrealistisch schön, die Morgensonne und die atemberaubende Aussicht aufs Meer und die Stadt Cannes zu bestaunen. Wir treffen noch die letzten Vorbereitungen, ehe wir und die anderen 153 Teams wie Schafe in die Startbox getrieben werden, was nicht ganz einfach ist, denn die vorderen Plätze sind sehr begehrt. Neben uns stehen die beiden leidenschaftlichen Swimrunner Mårten Westlund und Fredrik Hägglund aus Göteborg, die letzten Sommer ihr Traumziel (die Überquerung des Kattegatt, schwimmend!) endlich erreicht haben, eine sehr beeindruckende Leistung. Jetzt arbeiten die beiden an ihrem nächsten Ziel, dem ÖtillÖ 2019 durch das neue 7/24 Konzept und ich freue mich, die beiden auf dieser Reise dorthin ein wenig begleiten zu dürfen.

Weit hinten in der Startbox

Wie dem auch sei, wir landen etwas sehr weit hinten in der Startbox, ich habe aber auch nicht wirklich Lust darauf mich vorzuboxen und denke, ”alles Weitere ergibt sich”. Und das tut es auch. Nach immerhin 18 Rennen in diesem Jahr bin ich eigentlich kaum noch nervös vor dem Start, auch wenn eine gewisse Anspannung natürlich dazugehört, um seinen Körper ”rennbereit” zu machen. Endlich fällt der Startschuss – die normale Hektik am Start lässt mich mittlerweile aber völlig kalt. Wir trippeln im Pulk mit allen Anderen los, es geht über Kopfsteinpflaster leicht bergab und schon bald an der Küste entlang um die Insel. Traumhaftes Licht, ich konzentriere mich jedoch in dem zunächst etwas unwegsamen Gelände vor allem auf meine Füße. Doch schon bald laufen wir auf einem weichen Pfad und können das Tempo etwas anschrauben. Es geht mitten durch den Klostergarten des Abbaye de Lérins (da steht sogar ein Mönch mit Baguettekörbchen – etwas arrangiert) und weiter zur ersten Schwimmstrecke, die uns hinaus zur kleineren Insel Île de Lyon und wieder zurück führt. Die Aussicht ist sagenhaft, die Zeit, jede einzelne zu genießen ist etwas begrenzt, denn wir haben ein Ziel vor Augen. Volle Kraft voraus! Als wir die zweite Schwimmstrecke abschließen, sehe ich unter anderem Mr. Race Director Michael Lemmel höchstpersönlich uns anfeuern. Ich habe dieses Jahr die Chance gehabt, etwas hinter die Kulissen zu blicken und bin beeindruckt, mit wie viel Herz und Elan die Rennleitung ein solches Rennen organisiert und was eigentlich dahinter steckt – jedes ÖtillÖ Rennen war bisher ein ganz besonderes Erlebnis, jedes auf seine Art und Weise!

Fotos: ÖTILLO Worldseries Cannes – Pierre Mangez

Wir laufen auf gleicher Höhe mit dem französischen Herrenteam Nummer 27, die ein gleichmässiges Tempo zu halten versuchen. ”Quatre-quince, c’est bon” ruft der vordere Teamkollege zum anderen und das Tempo passt uns auch gerade. Wieder freue mich wie ein Honigkuchenpferd, dass ich gerade verstanden habe, was die Jungs gesagt haben, und überlege, welche Französischnote ich damals in der Schule hatte.

Cannes liegt vor uns

Wir legen einen super Rennstart hin, trotz der schlechten Pole Position am Start, ich denke ”nur nicht hektisch werden, denn der Tag wird lang”. Wir kommen an die Westseite der Insel und sehen Cannes vor uns liegen. „Da müssen wir jetzt nur noch rüber“, denke ich, „gute 1500m Schwimmen hinüber ans Festland.“ Kurz vor dem Einstieg reicht uns eine Helferin eine quietschrosafarbene Sicherheitsboje, die sich jedes Team um die Hüfte binden soll. Wir sind etwas überrascht, aber klar, Sicherheit geht vor. Wir sind jetzt ziemlich alleine und ich kann diese Schwimmstrecke wirklich genießen, ich konzentriere mich auf die Technik, 3-Takt-Atmung, das Seil und meinen ”Catch”, um André vorne das Schwimmen zu erleichtern. Meine Gedanken schweifen davon, bin froh, hier zu sein und dieses Rennen machen zu dürfen. Was für eine Location – einfach traumhaft! Und ich friere nicht! Wir schwimmen schnurgerade auf die orangene Flagge zu und an Land angekommen geht es an der Playa entlang Richtung Stadtzentrum Cannes. Andrés Familie steht am Strand und feuert uns an wie Hunderte von Passanten und Neugierigen. Wir wissen, dass wir das 3. Mixed Team sind, was mich sehr anspornt – aber noch ist der Weg zum Ziel sehr weit. Die längste Schwimmstrecke des Rennens liegt mitten im Zentrum entlang des Strandes und dauert eine gefühlte Ewigkeit. Ich merke, wie mir jemand mit dem Paddel auf die Füße haut, und gucke beim Einatmen an die Seite, wer das sein könnte. Der Superschwimmer Ulf Hausmann und sein Teamkollege sind im Anmarsch und gleiten langsam aber sicher an uns vorbei. André versucht sich hinten dranzuhängen um Energie zu sparen, und ich tu was ich kann, doch es reicht nicht ganz. Das ist aber nicht das letzte Mal, dass wir uns auf der Rennstrecke begegnen. Nach der langen Schwimmstrecke geht es in den bergigen

Es wird ordentlich warm

Abschnitt des Rennens und die Kraft der Mittagssonne macht sich nun bemerkbar. Hier muss man mental mit sich arbeiten und Energie tanken, – uns erwarten ca. 7 Kilometer Laufen. Aber ich bin bereit und bahne uns den Weg durch die reizvolle Mittelmeernatur am Stadtrand hoch Richtung Gipfel. Schon bald holen wir Ulf und seinen Teamkollegen ein und laufen an ihnen vorbei. Ich fühle mich stark und gebe nun das Tempo an, gleichzeitig versuche ich André aufzumuntern, der etwas schimpft, ”Gleich oben! Jetzt nicht nachlassen!” und denke an die Bergpartien im Engadin im Sommer, bei denen man Körper und Willenskraft einsetzen muss und eine gewisse Akzeptanz braucht, eine ”das-tut-jetzt-weh-geht-aber-vorbei-sobald-du-oben-bist” -Einstellung, um diese zu meistern. Wir laufen weiter leicht bergab Richtung Stadtteil Le Suquet. André bekommt einen neuen Energieschub und läuft vor bergab, – doch da, ”Autsch”, – falsch aufgetreten! Er staucht sich das Fußgelenk, meint jedoch, das gehe schon. Wir laufen weiter. Etwas Sorgen mache ich mir schon, wir senken das Tempo vorübergehend. Alles ist nochmal gutgegangen. Plötzlich kommen wir in die wunderschöne Altstadt und laufen mitten durch Strassencafés und über einen Antikmarkt die langen Stufen hinauf zum Nôtre Dame d’Esperance. Hier steht der bekannte deutsche Swimrunner André Hook und feuert alle Teams an, die vorbeilaufen und gibt uns eine Zwischenzeit, aber es ist weit nach vorne zu den führenden Teams.

Hinunter zur Strandpromenade

Schon bald kommen wir hinunter an die Strandpromenade, überqueren die Hauptstraße, die glücklicherweise von der Polizei bei jeder Überquerung kurz gesperrt wird, um Unfälle zu vermeiden – merci beaucoup! An Verkehrsregeln ist nun wirklich nicht zu denken. Eine weitere Schwimmstrecke in der City folgt, ehe wir uns in die zweite und letzte Bergetappe des Rennens begeben. Ich habe mir meine ”Notrakete à la Erik” aufgehoben, die mir den letzten Energieschub gegen Ende des Rennens geben soll. Rein damit, und dran glauben! Es geht bergauf, erst Straßen, dann alte Treppen, es wird ruhiger und das Rauschen des Stadtverkehrs verschwindet allmählich ganz, stattdessen höre ich Vogelgezwitscher und wir sind plötzlich mitten im Wald. Ich denke sofort „wir sind im Dschungel“, da taucht plötzlich der französische Meisterfotograf Christian Regatti vor uns auf und knipst drauf los. Ich lächle, André lässt ein paar Flucher, da es jetzt richtig bergauf geht. Wir gehen. ”Bald geschafft. Wir sind auf dem Heimweg!”, rufe ich nach hinten. Was für ein befreiendes Gefühl, als wir diese Steigung hinter uns gebracht haben, jetzt geht es nur noch bergab. Endlich sehen wir auch das Wasser und wissen: Jetzt sind es nur noch drei Schwimmstrecken bis zur Ziellinie.

Im Dschungel

Eine Helferin ruft ”la deuxième à gauche”. Wie ein Kleinkind, das auf Aufmerksamkeit pocht, erzähle ich André, dass ich das jetzt gerade verstanden habe, was die gesagt hat und übersetze. Aber mein Sprachlehrerherz hüpft vor Begeisterung. Um zu checken, wie die Stimmung ist, scherze ich, dass André ziemlich versaute Schuhe hat und frage, wo er denn gewesen sei. ”Im Dschungel!” waren wir tatsächlich. Unglaublich, wo Michael Lemmel und Mats Skott uns da hin gelotst haben, durch ein Flussbett hoch und wieder herunter – doch mich schockt nichts mehr. Wir gehen in den Endspurt und freuen uns beide auf die letzten Schwimmstrecken. Beinahe verpassen wir die grüne Boje, die wir beim letzten 1000er links neben uns lassen sollen, doch wir können die Situation in letzter Sekunden noch retten. Das französische Männerteam 47, von dem wir heute morgen schon Begleitung hatten, taucht auf einmal wieder auf.

Hand in Hand

Wir schwimmen die letzten zweihundert Meter mit Bravour und laufen die letzten 65 m Hand in Hand ins Ziel, als drittes Mixed Team. 5 Stunden und 11 Minuten vonfantastischem Swimrun und Teamwork. Während eines Rennens im Sommer nannte mich einer meiner Teampartner ”Trailkönigin”, was mich immer noch zum Schmunzeln bringt. Königin hin oder her, falls ich die Trailkönigin bin ist André der ”König der Meere”. Eine Medaille in der Mixed Kategorie war das Einzige was diese Saison noch gefehlt hat, und das haben wir zusammen geschafft – einfach so!

Dass von 155 Teams 154 das Rennen beenden konnten, ist bemerkenswert – ein absoluter Rekord! Fantastisch.

Ein großes Dankeschön auch an Katrin Sannert, die mir profimässig mit dem ”Medical Certificate” helfen konnte, das ich für den Wettbewerb in Frankreich in letzter Sekunde noch organisieren musste. Danke an den fantastischen Fanclub der Familie Malin Wahlström Fält. Ein ganz spezielles Dankeschön an meine Familie und Christoffer Ellmark und unsere drei fantastischen Kinder, die von zu Hause aus mitgefiebert haben. Jetzt beende ich das Swimrunkapitel 2018 mit diesem fantastischen Finale an der Cöte d’Azur und freue mich bereits auf ein neues 2019.

Nina Ellmark - Foto: Ulf Tjärnström

Nina hat Deutschland in ihren frühen Zwanzigern für ihre große Liebe – Schweden – verlassen. Seit dem zu Hause in der Region um Nyköping, hat sie beste Bedingungen fürs Trailrunnen, Schwimmen und eben auch SwimRunnen.

Seit 2015 ist Nina in der SwimRun Szene und hat unter anderem das Worldseries Rennen auf Utö, Boras, Stockholm Swimrun, Engadin, Angaloppet, Koster 1000 Lakes und die ÖTILLÖ Worldchampionship erfolgreich bewältigt. 2017 war sie 4. Platzierte Frau im Salamander Ranking.

Foto: Ulf Tjärnström www.pinewood.graphics