Bericht von Yggve Richter
SwimRun im Engadin
… oder Jailbreak?
Zuallererst muss ich erst mal loswerden, dass Laufen und ich – nicht so richtig zusammen passen, wir stehen sozusagen auf Kriegs-Fuß! (schon immer!). Und doch hier bin ich beim Swimrun im Engadin.
Wie alles begann
Es muss irgendwann im letzten Herbst gewesen sein, alle Wettkämpfe waren vorbei und eine gewisse Trägheit machte sich breit, da kam meine kleine Schwester im Geiste mit neuen Ideen für 2015 an, Schwimmen durch den Bosporus (wegen 6km …?) Schwimmen in der Nordsee (Hiddensee) 4.5km … lohnt nicht, und dann kam das … ÖTILLÖ, ein Wettkampf mit Laufen und Schwimmen.
ÖTILLÖ ist schwedisch und heißt so viel wie „von Insel zu Insel“. Der Start ist in der Nähe von Stockholm und es geht schwimmend und laufend über das Meer und die Schären vor der Küste im ständigen Wechsel. 65km Laufen und 10km Schwimmen, im Meer – da wo’s kalt ist – und so salzig – und wo die großen Glibberquallen einem auflauern … nee, nee … oder vielleicht doch … aber 65km Laufen (siehe oben … erster Satz)?
Da man sein ganzes Geraffel immer dabeihaben muss, schwimmt man also in den Laufschuhen und rennt im Neo (da brauch man dann ein starkes Deo) … hört sich nicht besonders prickelnd an, vor allem mit nassen Socken stundenlang rennen …
Teamsport
Das interessante an diesem Wettkampf ist, dass man hier nur als 2er Team starten darf, man darf sich während des Wettkampfs nicht mehr als 10m vom Partner entfernen. Dies dient der Sicherheit vor allem beim Schwimmen, man schaut nacheinander … das gefällt mir!
Schweden ist aber teuer, und so weit. Beim Stöbern auf der Homepage sehe ich, dass der Veranstalter gerade seinen ersten außerschwedischen ÖTILLÖ beendet hat, im Engadin. Das isses, keine gehirnaussaugenden Quallen, kein Salz, … gut, vielleicht ein bisschen kalt, aber dafür nur 47km Laufen und 6km Schwimmen (gut, noch 1450 Höhenmeter, aber das kann ja nicht so schlimm sein …). Meine Schwester musste sich aber leider aus beruflichen Gründen bei diesem Projekt für 2015 ausklinken.
Zufällig fand ich im Internet meinen Olivier wieder, mit ihm hatte ich im letzten Jahrtausend irgend wann mal zusammen studiert und in unserer Freizeit sind wir die auf dem Rad die Alb rauf und runter gerast und mit ihm habe ich am Schliersee meine ersten Triathlons gemacht.
Ihn brauchte ich nicht groß zu überreden, er war gleich dabei!
Die Vorbereitungen zum Swimrun im Engadin
Olivier ist ein super Läufer, 60km die Woche macht der locker. Ich hingegen laufe mit meiner Blaubeurer Laufgruppe immer nur Sonntags. Die quälen mich beim Laufen, dafür ich sie hinterher beim Schwimmen.
Oli wohnt in der Nähe von Sinsheim, daher konnten wir nicht so oft zusammen trainieren. Bei unserem ersten gemeinsamen Training im November habe ich mir dann gleich mal das Außenband am linken Knöchel angerissen. Die Wochen darauf habe ich nur sehr verhalten trainieren können. Oli hatte mich dann möglichst einmal im Monat besucht, und wir machten hier um Blaubeuren die Alb bei knietiefem Schnee in ¾ Laufhosen und die Schwimmbäder unsicher.
Der 11. Juli kam immer näher, 2 Wochen vorher noch Alb Extrem mitgefahren ein bisschen ausgeruht und das Wetter beobachtet. Das Omega-Hoch Annelie schaufelte Wüstenluft mit fast 35°C zu uns, heizt das jetzt die Seen im Engadin auf, oder schmelzen die Gletscher schneller ab und kühlen die Seen um so mehr? Ich werd’s nie erfahren.
Am Freitagabend war das Briefing mit der anschließenden obligatorischen Nudelparty angesetzt. Etwas lange Gesichter gab’s bei der Anmeldung, die Racebips (Weste mit Startnummer) war doch eher recht knapp geschnitten, nachdem sie letztes Jahr wohl viel zu groß waren. „One Size fits all“ ist bei einem Mixed Wettkampf ohne Stretch-Einsätze schwer zu realisieren. Da hat dann jeder mehr oder weniger mit Nadel und Faden selbst improvisiert.
Im Hotelzimmer habe ich dann nochmal alles getestet, mein Swim-Run Anzug hat vorne und hinten einen Reißverschluss, somit lässt sich der obere Teil gut ausziehen und mit den Ärmeln vor der Hüfte verknoten. Unter dem Anzug habe ich ein Merino-Unterhemd an, das auch im nassen Zustand gut wärmen soll.
Also erster Test vorm Hotelspiegel:
Ich komme vom Laufen zum Schwimmen. Erst die Racebip runter, dann in die Ärmel schlüpfen, Reißverschluss vorne und hinten hoch, Racebip wieder an, Hüfttasche nach vorne drehen, Handschuhe, Schwimmbrille, Bademütze (vom Veranstalter) rausnehmen, Neobademütze, die mir die ganze Zeit mit dem Kinnriemen am Hals hängen wird, überziehen, Bademütze oben drüber (is Vorschrift vom Veranstalter) Schwimmbrille an, Handschuhe an, Tasche nach hinten drehen, das ganze 3 x probiert … ich bin schweißgebadet!
Das Rennen
Nach einer unruhigen Nacht um 5:30 Uhr aufgestanden, um 6:00 Uhr gab’s Frühstück, um 7:00 Uhr fuhren die Busse die Teilnehmer zum Startpunkt.
180 gemeldete Teams, 136 Teams aus 21 Nationen sind davon angetreten.
Die Sonne blinzelt schon über die Berge, die 12°C Lufttemperatur erscheinen schon sehr angenehm, das Wasser soll auch 12°C sein, ich lasse mich überraschen. Der Start ist recht unspektakulär, wir haben uns eher etwas hinten eingereiht, sodass wir nicht gleich überrollt werden. Es geht erst mal so 1-2 km gemächlich eine Schotterstraße hoch, dann wurde es alpin. Auf engen Pfaden schlängelten wir uns die ersten 350 Höhenmeter hoch, über Wurzeln und Felsstufen. Hier war an Laufen nicht zu denken, wir gingen in einer Reihe einfach zügig den Berg rauf. Da gab es auch kein Gedränge oder Überholen, es wurde sehr viel Rücksicht aufeinander genommen. Langsam wurde es mir auch deutlich zu warm, der Schweiß tropfte mit steigender Frequenz von der Stirn und ich bildete mir ein, dass sich meine Neoprenbadekappe im Genick ebenfalls mit Schweiß füllt.
Hinten ging’s wieder 250m runter zum ersten Bergsee, da merkte man bei dem einen oder anderen schon die fehlende Trittsicherheit, teilweise konnte man dann auf Ausweichpfaden überholen. Es ging ähnlich steil runter wie rauf, die Schuhe und die Fußgelenkmuskulatur musste da so einiges aushalten.
Kurz vorm See wollte ich noch im Laufen mein Racebip ausziehen, das habe ich aber ganz schnell wieder bleiben lassen, viel zu gefährlich, laufen ohne zu sehen wohin.
Also dann am See, die vorher geübte Umkleideprozedur durchgeführt, völlig überhitzt in den Anzug – es ist fast nicht mehr auszuhalten. Dann 3 -4 Schritte in den kleinen klaren Bergsee, der noch so halb im Schatten liegt. Ich mache einen auf Hecht, tauche ein …
einer der schönsten Momente
Dies war einer meiner schönsten Momente in meinem Leben, gerade noch angestrengt, die Muskeln waren angespannt, die Sehnen schmerzten, der Köper überhitzt … und jetzt das. Ich tauche ein in diesen herrlichen Bergsee, in ein tiefes dunkles Blau, es kühlt mein Gesicht, ich bin schwerelos gleite unter Wasser einfach so dahin. Die Schmerzen vom Abstieg sind wie weggeblasen, ich höre nur noch wie sich mühsam die Luftblasen von meinem Gesicht lösen. Das Wasser zwängt sich langsam durch die Reißverschlüsse und die anderen Öffnungen und fängt an, mich gleichmäßig ganz langsam abzukühlen … und ich gleite … der Anzug gibt mir Sicherheit … bringt mich in einem perfekten Bogen wieder Richtung Oberfläche … und dazu dieses Blau … schwerelos … schmerzlos … frei … und die angenehme Kühle.
Lieber Gott, wenn ich jemals sterben sollte, möchte ich genau so in den Himmel kommen!
Soweit sind wir aber noch nicht, die 270m im Bergsee gingen viel zu schnell vorbei. Für die anschließende Strecke von knappen 5km haben Oli und ich uns entschlossen auf die Umziehprozedur zu verzichten. Wir wollten nur noch bei den 8km Laufstrecken uns umziehen.
Also nur noch Bademütze, Brille und Handschuhe in der Hüfttasche verstauen … Mist, hab‘ vergessen den Reißverschluss der Hüfttasche zuzumachen, meine Gels und Riegel sind aber noch drin, Glück gehabt.
Also weiter geht’s, ich muss Oli beim Laufen immer etwas bremsen, ihr wisst ja, laufen ist nicht so meins. Am nächsten See wieder Bademütze, Handschuhe, Brille raus … wo ist meine Brille? … Brille is weg!
Jetzt wäre mir fast das f-Wort über die Lippen gekommen … dann muss es halt ohne Brille gehen.
Die Schwimmstrecke ist diesmal 550m lang, das Erlebnis ist nicht mehr ganz so intensiv, aber immer noch super. Anschließend geht es in einem eher gemächlicheren Auf-und Ab an den Bergflanken entlang. Beim 3. Schwimmen steht ein Helfer am Einstieg und hält mehrere Schwimmbrillen hoch … meine ist dabei! Die pack ich gleich ganz tief in meine Hüfttasche ein, es geht ja auch sehr gut ohne.
Bei den Laufeinheiten brennt die Sonne gnadenlos, leider hatte ich keinen Hut mitgenommen, schwerer Fehler!
längste Schwimmstrecke
Die 5. Schwimmstecke ist mit 1400m die längste. Mittlerweile haben wir schon so 30 Laufkilometer hinter uns und sind nicht mehr ganz so frisch. Bei dieser langen Schwimmstrecke kühlt man dann doch sehr aus. Zum Glück gibt’s hier keinen Beckenrand zum Abstoßen, sonst hätte ich jetzt gleich einen beidseitigen Wadenkrampf.
Die nächste Laufeinheit ist nur 3.6km lang, das reicht gerade, um sich annähernd auf Betriebstemperatur hochzuarbeiten. Dann schon wieder 1250m Schwimmen, Oli bekommt Krämpfe beißt sich aber noch bis zum Ufer durch. Der Ausstieg aus dem Wasser wird zur Tortur, Krämpfe und leichte Gleichgewichtsstörungen zeigen uns langsam die Grenzen auf.
Jetzt nur noch 1450m Laufen bis zur vorletzten Schwimmstrecke, die geht mit 250m Schwimmen durch einen Moor-See mit 19°C. Beim Anblick der lauwarmen braunen Brühe, habe ich dann doch lieber wieder meine Brille aufgesetzt und versucht kein Wasser zu schlucken …
Hinten wieder aus dem Wasser draußen, war ich ziemlich am Ende. Bevor mein Körper das Schildchen „GAME OVER!“ hochhält, zuzzle ich noch mein letztes Gel aus … Wildkirsche … es hätte auch Ingwer-Zimt sein können, mein Geschmackszentrum hat sich schon abgemeldet. Jetzt geht’s aber nochmal 8km mit 130 Höhenmetern … der Laufanteil nimmt stetig ab, flottes Gehen ist jetzt angesagt. Inzwischen wurde es auch recht einsam, weit vor uns sieht man hi und da mal ein Pärchen laufen / gehen.
Dann die letzte Schwimmstrecke, 400m, wir lassen uns beim Einstieg nur noch ins Wasser fallen und eiern irgendwie auf’s andere Ufer zu. Jetzt nur noch 2.7km, Oli würde nochmal gerne etwas Dampf machen, aber ich merke, dass ich voll an die Wand gefahren bin … und an der rutsche ich gerade langsam runter.
So haben uns dann kurz vor dem Ziel noch 3 Teams überholt … aber egal, wir wollten ja nur irgendwie durchkommen.
Fazit:
Ich weiß nicht, ob ich es schon erwähnt hatte, aber Laufen ist nicht so meins. Das ich überhaupt 47km durchgehalten habe, habe ich nur den Schwimmeinlagen (das ist eher meins) zu verdanken. Anfangs dachte ich, dass mache ich nie wieder … inzwischen … könnte ich es mir doch wieder ganz gut vorstellen.
Auf jeden Fall ist die Landschaft gigantisch, auch wenn man fast keinen Blick dafür haben kann, bestens organisiert und ein ganz neuer Blickpunkt, man startet als Team, bleibt immer zusammen, leidet, hofft und motiviert sich gegenseitig, finished zusammen oder scheidet gemeinsam aus … sowas ist heutzutage selten.
Jailbreak
Ach ja, und noch was, in der Überschrift stand was von Jailbreak …
Biathlon wird ja gehässigerweise auch als der Sport der Wilderer bezeichnet, dann würde ich Swim-Run als „Ausbrechersport“ bezeichnen … oder was macht es für einen Sinn, pärchenweise durch die Landschaft zu rennen, durch Seen und kilometerweise am Ufer entlang Schwimmen, obwohl es dort einen super Weg hätte? Doch nur, um die Bluthunde abzuschütteln … und wer nicht schnell genug ist, den schnappen die Häscher am Cut-Off ….
Wie dem auch sei, es war ein hartes, aber schönes Rennen, das Wetter war uns wohl gesonnen, es hätte auch deutlich anders kommen können, mit 10°C und Dauerregen …
… Vielleicht lasse ich mich nochmal schnappen und breche nächstes Jahr mit dem Swim-Run Team Ulm wieder aus 😉 … und diesmal werden wir es alle schaffen!
zu Barbaras Bericht von 2014
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