2018 – meine neue Chance bei der Ötillö SwimRun World Championship

Kalt, frierend, entkräftet, enttäuscht und trotzdem auch stolz auf unsere Leistung konnten wir 2017 unsere Teilnahme an der Ötillö SwimRun World Championship nicht an der Ziellinie, am Vardshüs auf Utö, beenden. Die Bedingungen waren hart und wir ihnen nicht gewachsen. Ich haderte und haderte und wollte und wollte diesen Traum aber erleben. An eine direkte Quali ist nicht zu denken, die Chance „Director’s Choice“ habe ich nicht wahrgenommen (warum auch immer). Das Qualifikationssystem 24/7 ist zeitlich, finanziell und logistisch für uns kaum zu machen. Bleibt also wieder das Los. Dieses Jahr war die Lotterie allerdings nicht wie die Jahre zuvor schon im Januar angesetzt, sondern erst später im Juli nach dem Rennen im Engadin. Nur die restlichen freien Startplätze sollten dort verteilt werden.

Zögern und Zweifeln

Während des langen Schwimmens beim SwimRun Engadin zweifelte ich an mir, meiner Fitness und meiner Belastbarkeit für einen neuen Versuch. Im Ziel erzählte ich jedem, der es hören oder auch nicht hören wollte, dass ich mir für 2018 kein Los kaufen würde. Ob mir das einer geglaubt hat? Zwei Tage später fragte ich Tanja, ob sie sich es vorstellen könnte, tatsächlich mit viel Glück im Herbst mit mir nach Schweden zu fliegen. Sie ist verrückt genug für grosse Ideen und ihre erbetene Bedenkzeit eigentlich unnötig. Unsere Teamleistung im Engadin war gut: ich schwimme, sie läuft und jeder zieht jeweils die andere mit – aber ob das für das grosse „Ö“ reichen würde? Das Los war gekauft, aber wollten wir wirklich gezogen werden? Der Tag der Lotterie: drei Lose nur in der Kategorie der Damenteams. Und …. BINGO. Wir sind drin. Freude, Schreck, Glück, Angst – alles auf einmal. Sechs Wochen bleiben noch bis September, sechs Wochen nur, um für eines der härtesten Ein-Tages-Rennen fit zu werden. Es waren intensive Wochen …..

Abenteuer Schweden 2018

Am 1. September ging unser Flug von München nach Stockholm. Nervös, gespannt, voller Vorfreude und auch ein bisschen Angst. Für Tanja war es der erste Besuch in Schweden. Ihr Respekt vor See, Wellen und Strömung war gross. Der Wetterbericht versprach Sonne, wenig Wind, der Wasserbericht wenig Wellen, wenig Strömung und angenehme Temperaturen.

Stockholm

Den ersten Abend verbrachten wir noch in Stockholm. Abendessen mit internationalen SwimRun Freunden. Sonntag Mittag grosses Treffen am Busbahnhof. Altbekannte Gesichter, Neulinge. Anders als die letzten Jahre sollten wir nicht mit der Fähre nach Sandhamn gebracht werden, sondern nach Djurönäset, einem Hotel eher am Rande des Schärengarten. Die Logistik musste geändert werden, da das Seglärhotel auf Sandhamn wohl nicht länger zur Verfügung steht. Race Registration, Einchecken. Weiter Nervosität aufbauen. Wir starten als „SwimRun Germany by HEAD“. Neue Anzüge schon im Vorfeld und jetzt noch ein giftgrüner Überraschungsrucksack – danke an Stefan Sponer, Head of HEAD Swimming!

2018 Ötillö SwimRun World Championship - Foto: SRG

Ötillö SwimRun World Championship 2018 – Raceday

Der Wecker geht früh: 3:45 Uhr breakfast, 4:30 Uhr Abfahrt der Fähre von Djurö nach Sandhamn. Das Wetter sieht fantastisch aus, die baltische See liegt spiegelnd und ruhig in der aufgehenden Sonne. Auf zwei Fähren verteilt werden wir zum Start gefahren. Alle, wie empfohlen, bereits in kompletter Montur. Letzte Vorbereitungen, noch ein paar Minuten Schlaf und schon sind wir da. Wie anders als 2017! Es ist hell, es ist sonnig, es ist angenehm warm. Es bleiben nur etwa 15 Minuten und der Böllerschuss schickt uns in einen langen Tag im schwedischen Spätsommer. Die Rennaufteilung ist klar: ich schwimme vorne, Tanja bleibt ganz nah in meinem Wasserschatten. Es gilt, vor allem den zweiten CuttOff auf Namdö zu schaffen. Und den PigSwim. Und genügend Puffer in Kymmendö zu haben, bevor der lange Laufabschnitt über Ornö beginnt. Dort soll Tanja übernehmen und ihre ganze Ultralauferfahrung auspacken, um uns über die Insel zum letzten CutOff zu bringen.

2018 Ötillö SwimRun World Championship - Foto: Jakob Edholm
2018 Ötillö SwimRun World Championship - Foto: Jakob Edholm
2018 Ötillö SwimRun World Championship - Foto: Jakob Edholm
2018 Ötillö SwimRun World Championship - Foto: Jakob Edholm

Perfekte Bedingungen

Das Wasser liegt wie ein Spiegel vor uns, die einzigen Wellen sind die, die durch die Boote und die Swimrunner selbst verursacht sind. Was für perfekte Bedingungen! Die Felsen am Ausstieg sind rutschig, nicht anders als erwartet. Die erste Laufabschnitte kaum laufbar. Wir machen unsere Pace. Wir sind nicht schnell und finden uns rasch im hintersten Teil des Feldes wieder. Egal, wir wollen nur durchkommen, nur auf Utö am Vardshüs einlaufen. Der erste CutOff auf Runmarö ist kein grosses Problem. Es geht weiter über die Felsen der Inseln, durch‘s Unterholz, buchstäblich über Stock und Stein. Aufpassen auf den Felsen, keine Verletzung riskieren. Zeit und Distanz auf den wenigen für uns laufbaren Abschnitten machen, stetig schwimmen. Wir erreichen Namdö und ein kurzer Blick auf die Uhr sagt: keine Zeit verlieren, aber das sollte klappen. Mit 15 Minuten Puffer erreichen wir die Versorgungsstation und damit Time 08.

PigSwim

Essen, trinken, weiter. Wir nähern uns dem PigSwim. Der kann, darf (!!) heute kein Problem darstellen. Die beiden Teams vor uns schwimmen kerzengerade rüber nach Kvinnholmen. Ein kurzer Blick nach rechts, zur Insel Boskar, dort, wo es uns letztes Jahr in den Wellen hin verschlagen hat. Wie konnte das nur passieren? Sie liegt so weit vom Kurs ab! Gedanken abschütteln, heute ist es perfekt. Wenn heute kein Finish, wann dann? Gegen Ende der 1400m wird es uns etwas kalt, aber das Schwimmen ist völlig problemlos. Beide nehmen wir am Ufer mit Begeisterung das angebotene Twix entgegen – Schokolade ist gerade super!

2018 Ötillö SwimRun World Championship - Foto: Pierre Mangez
2018 Ötillö SwimRun World Championship - Foto: Pierre Mangez

Auf Ornö wird es zäh

Weiter Richtung Ornö. Das letzte längere Schwimmen, weitere 970m spiegelglattes Wasser. Mit einer Stunde Luft erreichen wir Kymmendö. Dort steht Mats, einer der beiden Race Directors, lächelnd, aufmunternd. Das können wir schaffen, selbst wandernd. 300m Wasser und wir stehen auf Ornö. Ich bin müde, ziemlich erledigt, meine Energie habe ich auf den hinter uns liegenden Kilometern fast aufgebraucht. Jetzt ist Tanja‘s Stunde. Die ersten Kilometer sind noch trailig, da kann ich mich noch etwas motivieren, auf der Schotterstrasse trabe ich müde hinter ihr her. Als wir die Asphaltstrasse erreichen, nimmt sie mich an die Leine. Im Gespann geht es einigermassen. Wir sind langsam und werden für die fast 20km zweieinhalb Stunden brauchen.

Der letzte CutOff

Um halb sechs stehen wir in der Abendsonne am Ängsholmen, am Ende von Ornö. Vor uns noch knapp 6km laufen und 1km schwimmen, verteilt auf sechs Abschnitte. Inselhopping vom feinsten. Wir nehmen jedes Tempo raus. Ankommen, unverletzt, nichts mehr riskieren. Ich kann eh nicht mehr schnell. Tanja animiert mich immer wieder zu ein paar joggenden Schritten.

2018 Ötillö SwimRun World Championship - Foto: Pierre Mangez

Dann Utö …. nur noch 3,6km bis zum Vardshüs. Die letzten Meter unter Rufen und Klatschen der anderen. Da der Zielbogen. Soll ich schreien, lachen, heulen? Von allem etwas. Wir sind Finisher. Als letztes Damenteam erreichen wir nach 13 Stunden 19 Minuten das für den Moment auf jeden Fall schönste Ziel der Welt. Ich kann es nicht fassen, nicht kapieren, es ist nicht ganz reell. Michael hängt uns die Medaillen um, Tanja und ich liegen uns immer wieder in den Armen. Auch Stefan hat am Ziel auf uns gewartet, Andreas erhält zuhause von ihm das Zielfoto, bevor wir richtig über die Linie sind. Ötillö SwimRun World Championship 2018 – wir haben es geschafft! Ein Traum erfüllt. Wir sind müde, leer, erschöpft. Euphorisiert und begeistert.

2018 Ötillö SwimRun World Championship - Foto: Pierre Mangez
2018 Ötillö SwimRun World Championship - Foto: Pierre Mangez
2018 Ötillö SwimRun World Championship - Foto: Pierre Mangez
2018 Ötillö SwimRun World Championship - Foto: Pierre Mangez

Am nächsten Morgen fahren wir mit der Fähre und den anderen Teilnehmern nach Stockholm. Die Stimmung ist fantastisch, müde, stolz. Die Streckenrekorde wurden pulverisiert. Unglaubliche 7 Stunden 39 Minuten für 65km Trail und 10km Open Water. Was für Athleten! Bei uns arbeiten Körper und Geist noch, wir sind noch nicht zur Ruhe gekommen.

Aber jetzt so langsam realisiere ich diesen perfekten Tag!

2018 Ötillö SwimRun World Championship - Foto: Jakob Edholm